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Bewegende Pfingsten!?

Pfingsten: das Fest der Begeisterung – Feuerzungen, Tosen, mutige Worte…

Und es schwingt mit: Christen treten heraus, bewegen die Welt im ganz Großen…
Die historische Realität: Zu der Zeit als Johannes dieses Evangelium verfasst hat, um 120 n Chr., betrug die Zahl der Christen im römischen Reich – wozu die Region des Evangeliums als besetzte Provinz zählte – nicht 1% der Bevölkerung. Und was sich da als zartes Pflänzchen in der Provinz entwickelte – bewegte in der Öffentlichkeit des Lebens im römischen Imperium so gut wie niemanden. Nur die Sicherheitskräfte wurden wach und hatten es nicht gern, wenn sich irgendwo Unruhe abzeichnete...
Nein – nicht tosende Begeisterung, feurige Bewegung: am Anfang steht eher eine überschaubare Zahl… nicht wenig Angst...und viel Zurückhaltung...
Zwar lebte Jesus in Wort und Tat aus einer Vision, die mit einem besonderen Geist zu tun hat: Denn das war sein Selbstverständnis: „Der Geist des Herrn ruht auf mir. Er hat mich gesalbt, um den Armen die gute Nachricht zu bringen, um den Gefangenen zuzurufen: Befreiung und den Blinden: dass sie sehen werden.“ Er wusste sich gesandt, den Unterdrückten die Freiheit zu verkünden und eine Gotteszeit der Gnade anzukündigen...- das war frohe Botschaft / darum haben die Jünger / Menschen sich an ihn gehängt …


Aber das Kreuz stand mächtig mit im Raum am Ende seiner Lebzeit für seinen
Freundeskreis und alle Sympathisanten. Und bei seinen Worten und Taten hat er schon zu Lebzeiten die Erfahrung gemacht: mal waren es viele, die ganz Ohr waren für ihn und mal war es nur der Kreis der engen Freunde, die zu ihm standen. Er hat erlebt, dass er Menschen Gutes, Heilendes tat und einige wollten fortan mit ihm sein, andere kümmerte eine weitere Verbundenheit nicht. Und er musste auch erfahren, dass keiner zu ihm stand, selbst die Engsten…in einem Moment, wo man eigentlich Freunde, Menschen braucht...
Waren nun sie und die anderen Zeitgenossen Jesu, die er nicht bewegen oder
erreichen konnte - schlechte oder böse Menschen? Das wird wohl niemand
behaupten. Es gilt daher festzuhalten und ist und bleibt Erfahrung Jesu, dass
Menschen gut ohne ihn leben / weiterleben können - selbst wenn sie ihn
kennengelernt hatten oder um seine Botschaft wussten...

Die Zurückhaltung in einer kleinen Gruppe und Angst vor Repression – staatlich... religiös... - war gegeben unter denen, denen der Nazarener etwas bedeutete...
Es brauchte, bis der Mut „Mut fasste“, bis die „Begeisterung „den Geist trug“...bis man seinen Worten und Taten einen Platz gab, so dass es ein Zeugnis wurde: sprechend in Leben und Gesellschaft – trotz allem...und in allem.
Ich denke: da kommt der Funke des Heiligen Geistes ins Spiel und – fast unmerklich verändert sich Wirklichkeit und Selbststand – und Gott kommt langsam „neu“ ins Spiel.

Die Realität heute: Ich sehe an Pfingsten 2024 drei Faktoren, die uns sehr in
Verbindung zur Anfangssituation christlichen Glaubens bringen:
1. Die kleine Gemeinschaft der „Jesus-Folger*innen“ bildet die Glutzelle / steht am Anfang von „Kirche“ - und dahin bewegt sich Glaubensgemeinschaft heute.
Damit verbindet sich doch die Frage, ob das nicht die realistische Ebene und Basis von jesuanisch geprägtem Leben als Christ*in in Zeit und Gesellschaft ist:
- kleine Gemeinschaften als Glutzellen des Evangeliums...(“Wo 2 oder 3...“)
Wir nähern uns gesellschaftlich der religiösen Wirklichkeit zur Zeit Jesu: Wie damals können heute viele Menschen ihr Leben gut ohne den Gott Jesu und seine Wirklichkeit leben – sie haben da kein Defizitgefühl und wenn wir ehrlich sind: sie sind deswegen keine schlechteren Menschen. Wir kennen davon nicht wenige und schätzen sie als Menschen - in unseren Familien, im Kollegenkreis, im Freundeskreis…
Damit verbindet sich eine Grundakzeptanz von Freiheit im Weg der Menschen mit oder ohne Religion – insbesondere im Blick auf den biblischen Gott, dessen Weg nicht der Zwang ist. Die Akzeptanz von Freiheit und das Frei-lassen können von nicht-religiösen Lebensentwürfen sind als neutestamentliches Element Grundbedingung im gesellschaftlichen Diskurs und Zusammenleben unserer Tage.
Und es gilt – wie in Jesu Zeit - heute: biblischer Gottesbezug und eine frohe
Heilsbotschaft „sprechen“ durch unser Leben.

Unser Leben „sprechen zu lassen“, die kleine Gemeinschaft als Glutzellen des
Evangeliums bejahend zu leben, wie auch die Akzeptanz des Frei-lassens zu nicht- religiösen Lebensentwürfen (– besonders wenn es Menschen sind, die uns lieb sind: die eigenen Kinder, der Partner*in, Freunde…): das ist nicht einfach – und ein Resignieren mag in der Luft liegen - , wenn wir da nicht ein „pfingstliches Wagen“ riskieren / den „Sprung“ ins gläubiges Vertrauen, dass da ein göttlicher Funke in Zeit und Leben präsent ist, der unmerklich Wirklichkeit und Selbststand verändern kann….
3. Wir - und das ist die eigentliche Folgerung für mich - haben neues Christ-Sein zu lernen: wie die Jünger damals – als Jesus nicht mehr unter ihnen war und sie als kleine Gruppe inmitten einer ganz anders orientierten Welt dastanden. Das ist schon Realität und wird unsere normale Realität - und diese gilt es zu bejahen.
Darum „spricht“ „Christ-Sein“ primär durch das eigene Leben – und durch das, was Christ*innen darüber ins „Leben“ einbringen: gesellschaftlich, innergemein-schaftlich, individualmenschlich...
Eine äußerlich – und hier und da auch sicherlich überzeugt innerlich - christlich
geprägte Zeit und Welt – wie sie mit Kaiser Konstantins Staatschristentum be-gann und wie sie sich lange im Thron und Altar-Bündnis halten
konnte - ist vorbei.
Diese lange Zeitepoche ist eine sehr von bestimmten Kirchenbildern und
theologischen Setzungen der Amtskirche her geprägte Zeit gewesen, die nachhaltig und ambivalent prägend war und zum Teil noch ist ...
Wir können realistisch und nüchtern feststellen, dass die lange Zeitgeschichte einer vom Glauben als Gesellschaft verbindende und verbindliche Größe für alle Menschen in einer Gesellschaft vorbei ist.
Der Anfang rückt neu in den Blick und mithin der Funke des Geistes, der Jesus
ausmachte und der eröffnet die Möglichkeit, Wirklichkeit und Selbststand neu
anzugehen – so dass „Gott“ neue ins „Spiel“ kommen kann – in einer nach-
christlichen, säkularen Kultur und Weltwirklichkeit heute….
Den ersten Christen kam es nicht auf die Zahl der Christen an – es kam ihnen auf das Evangelium an – und dass diese Botschaft Kreise zog: daher gab es an vielen Orten Glutpunkte des Evangeliums – kleine Gruppen, die dort das mit Leben füllten, was Jesus den Menschen des Weges anvertraut hat. (Korinth, Ephesus, Galatien, Rom...) Man kann auch sagen: Wichtiger als die Tatsache, dass alle glauben und zur Kirche gehören, ist die Präsenz des Evangeliums an vielen Orten, damit alle glauben können, wenn sie es denn wollen. Und dafür reichen wenige, wenn sie für das Evangelium brennen...
Daraufhin gilt es sich neu auszurichten: das Evangelium in die Mitte zu stellen - nicht die Institution – und mit unserem Sein dafür einzustehen.
Zweitens: ja, Menschen gehen glücklich durch das Leben – ohne Religion: „ich bin nicht gläubig – ich bin normal“ - sagt man dann schon mal...
Als Glaubende je einzeln und als Glaubensgemeinschaft der Kirche sind wir nicht Eigentümer des Heils / der Gnade / der guten Botschaft … All diese ele-mentaren Erfahrungsmöglichkeiten sind Gottes Weg mit den Menschen. Wir sind weder Richter noch göttliche Vollstreckungsstelle seines Seins und Wollens. Gott ist der Herr des Glaubens und die Quelle des Lebens und es ist an Ihm, auf welche Weise er Heil / Gnade / seine Liebe und Gerechtigkeit eröffnet und schenkt.
Das meint nicht auf Dialog und Gespräch mit anders orientierten Menschen zu
verzichten und auch nicht - die Glut zu verbergen, die uns erfüllt…dennoch:
„sprechen“ werden wir durch das Leben, was wir leben...

Es geht darum, einen „gelebten Geist“ hinzuhalten, anzubieten: „wie einen offenen Mantel, den man bereit hält“ (wie es die französische Kirche vor einigen Jahren einmal für die gläubige Existenz heute definierte). Das bedeutet: ich bin ansprechbar auf die Hoffnung hin, die mich erfüllt – aber Du als Gegenüber bist in der Annahme dessen absolut frei und ich bin nicht „per se“ der bessere Mensch; ich bin wohl geprägt von etwas, was mich erfüllt und (– hoffentlich -) glücklich macht.


Wo der Geist des Herrn ist, da ist Freiheit“ - hören wir Paulus – sehr nah an Jesus - sagen.
Die Würde des Menschen unserer Tage wird mit Freiheit definiert. Sie ist
unantastbar! Das sagt nicht nur das Grundgesetzt in Artikel 1, was am 23.5. 2024 seinen 75. Geburtstag feiert, sondern das ist unsere Urbotschaft länger als seit 2000 Jahren – auch wenn sie lange verdunkelt war, weil der Glaube über Jahrhunderte in unserem Kontext eine Liaison mit der Macht eingegangen ist: und dazu steht die Freiheit allzu oft im Widerspruch...ja, muss dagegen meist erkämpft werden (wie die Geschichte, nicht nur bei den Menschenrechten, zeigt).
Seit dem ersten Pfingsten kommen wir um den Funken des Heiligen Geistes nicht herum. Er kommt ins Spiel und verändert Wirklichkeit und Selbststand und so kommen Gott und Mensch immer wieder neu ins Spiel... Das ist des Geistes frisches Wehn… Und dieser Geist lässt mich heute und jetzt im Kontext unserer Weltgegebenheit und Jetztzeit vertrauen und leben:
- dass Lügen und Gewalt nicht das letzte Wort in den Konflikten unserer Zeit,
besonders in der Ukraine und im Heiligen Land haben und auch nicht in der Frage diskriminierender Ausgrenzung innerhalb unserer Gesellschaft – wie sie in AFD Kreisen forciert wird,
- dass die Gottesfreundschaft Grenzen überwinden hilft, weil mir im anderen – sei er mir nah oder fern - immer auch ein göttlicher Funke begegnet,
- dass dem Sterben einer bestimmten Kirchenform eine Hoffnung entgegensteht, die keine Gott-losigkeit für Mensch und Welt kennt und um einen Evangeliums-nahen Glauben in Gemeinschaft weiß, weil es das gibt: hier und da und dort...
- und nicht zuletzt: dass mein Suchen und Wagen, mein Reden und Stottern im Leben und im Glauben – einen Begleiter hat, der nicht „Zeitgeist“ ist – wohl „Geist in der Zeit“ mit mir / mit uns.


In diesem Sinne uns ein frohes Fest des Heiligen Geistes an Pfingsten und über die Tage hinaus: Feiern wir Ihn, der mit uns geht: einzeln und in der gläubigen Gemeinschaft- vielleicht kleinerer Gemeinschaft, aber nicht Geist-loserer.
Nehmen wir diesen Geist auch mit nach draußen und auf die Straße, der Garant einer freiheitlichen, unantastbaren Würde von uns als Menschen und Ebenbilder Gottes ist!
Wenn der Geist von Pfingsten uns bewegt: bewegt sich Wirklichkeit und Selbststand und Gott überrascht uns neu. Darum: Frohe, „bewegende“ Pfingsten!
(Ludger Ernsting)

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