Aktuelles
Predigt zum Abschiedsgottesdienst
Paulus schreibt an die christliche Gemeinde in Rom. (Römerbrief 11,12-13)
Lasst euch von der Geistkraft entzünden und dienet der Zeit (griechisch: kairos - Zeit; meist wird hier übersetzt: kyrios – Herr)
- in der Hoffnung froh
- in der Bedrängnis geduldig
- im Gebet beharrlich.
An den Nöten der Menschen nehmt Anteil und seid jederzeit gastfreundlich.
Lukas schreibt (Lukasevangelium 4, 8. 11. 13)
Wenn du zu einer Hochzeit eingeladen bist, dann...
...wer sich selbst erhöht, wird erniedrigt, und wer sich selbst erniedrigt, wird erhöht werden.
...wenn du ein Essen gibst, dann lade Arme, Krüppel, Lahme und Blinde ein...
Olaf Schweda, Gast unseres Hauses, hat das Nagelkreuz von Coventry zu Beginn hier auf den Altar gestellt: Symbol für Frieden und Versöhnung.
Nach der Totalzerstörung Coventrys als erste englische Stadt durch Nazideutschland -
hat das dortige Domkapitel direkt danach gewagt zu sagen:
Hass ist nicht unsere Antwort auf Hass und Zerstörung.
Versöhnung ist Gottes Wille – und unser Wunsch– und sie haben Nägel aus dem Dachstuhl der zerbombten Kathedrale zu Nagelkreuzen gebildet, die zu einem weltweiten Zeichen für Versöhnung und den Willen zum Frieden geworden sind.
Wir erleben gerade eine Zeitenwende , die Gewalt, Unfrieden, absolutistische Ideen und egoistische Ausnutzung von Privilegien wieder zur gängigen Praxis macht und nicht nur die umgebende Welt, sondern auch uns in Europa betrifft:
Die maßgeblichen Herrscher im Osten – Putin - / im Westen – Trump – und im „Reich der Mitte“ – Xi Jinping – gehen unberechenbar den Weg von Gewalt und eigenen Interessen jenseits aller Moral gekoppelt mit Bereicherung – und sie schlagen eine Schneise für Hass und Unfrieden in unserer Zeit. Und die, die gerne so herrschen möchten, die Orbans in der Nachbarschaft und die Höckes in unserem Land mit den Parteikollegen/Innen in der AFD tun es ihnen gleich… - bis in unseren gesellschaftlichen Alltag.
„Dienet der Zeit“(kairos) oder Kyrios ( dem Herrn) – beides gibt es in der Übersetzung und vielleicht soll man es sogar synonym verstehen: Die Einladung des Paulus als Leitgedanke einer christlichen Existenz – ist aktueller denn je mit einem Engagement für den Frieden und zur Versöhnung, sowie zur Entlarvung der Unfriedens- und Kriegstreiber und der Deals, die Menschen das Leben nehmen.
Es braucht im Heute – wo immer auf dieser Welt – bis in den Nahbereich unserer Städte: den Einspruch: Hass ist nicht unser Weg. Versöhnung ist Gottes Wille und will unser Wunsch sein.
Ferdi Kerstiens (Pfarrer i.R. in Marl und Mitglied des Freckenhorster Kreises) verdanke ich den Brückenschlag zum heutigen Evangelium: Wenn Menschen Angst haben – von den „Großen dieser Welt - bis zu uns“..., letztlich keinen tiefen Sinn finden im Leben..., dann brauchen sie/ wir den Kampf –: „die ersten Plätze“- „Ehrenplätze“ als fehlgeleitete Sinn-suche und Selbstbestätigung meines „Ich“ als ein „über den anderen sein“. Nicht Begegnung auf Augenhöhe, sondern Macht über Menschen hat dann Priorität.
Wie befreiend die Einladung Jesu eben im Evangelium: Jede/r hat Platz an seinem offenen Tisch… - und / aber das nicht „Profil-los“: Die erniedrigt sind, werden erhöht ...die Armen und wie auch immer Gehandicapten und Geschlagenen der Zeit sind besonders zu Tisch geladen. So ein Tisch ist „Realsymbol“ von Frieden, Miteinander, Zuversicht und Gottespräsenz.
Und die entscheidende Perspektive dabei: Wer vertraut, dass Gott ihm/ ihr einen Platz an seinem Tisch schenkt, der kann einladen – offen sein, ohne Angst zu haben zu kurz zu kommen…“Alles wirkliche Leben ist Begegnung“ ist erfahrbar– und dieser Tisch schmeckt nach Wirklichkeit. Vor mehr als 10 Jahren gab es viel Schweigen und Wegschauen, da im Nahen Osten Tyrannen und religiös fundamentalistische Systeme Menschen in den Tod trieben: Afghanistan, Syrien, Irak, Iran... Flüchtlinge liefen um ihr Leben – tagelang, monatelang, manchmal jahrelang – meist waren die Türen und Grenzen offiziell verschlossen.
Alisina, Faisal, Kahlil und Fuad in unserer Mitte – wie viele andere : können erzählen...
Heute auf den Tag vor 10 Jahren – 31.08. 2015 – hat Angela Merkel als Kanzlerin – gegen das Ignorieren von Leid und Not– gesagt. Wir verschließen unsere Grenzen nicht und: Wir schaffen das!
Letzteres nicht als kraftmeierischer Imperativ, sondern einerseits menschlich – human einladend und anderseits als Plädoyer für Vertrauen ins eigene Denken und Handeln in unserem Land- auch im Sinne einer ermutigenden Erinnerung an das, was unsere, ja europäische Werte und Tugenden in Blick auf Humanität waren, sind und sein können – gespeist nicht zuletzt auch aus der biblischen Wegspur / Tradition- ...
Vielleicht – im Rückblick - hätte man manches anders organisieren können… vielleicht hätte man auch von Anfang an deutlicher machen müssen- es sind Menschen, die kommen – wie Menschen sind: und da gibt es Gute und da gibt es Böse / und da gibt es helle Köpfe und welche, denen nicht viel gelingt….Und es braucht Zeit bis Dazugekommene integriert sind in Werte, Denken und Tun hier , aber auch Hiesige die Werte, das Denken und Tun der neuen, nun nahen Mitmenschen integrieren….Und dazwischen liegen manche Missverständnisse und mancher Missbrauch von Gastrecht und Gastgebern... vielleicht hätte man das mehr sagen müssen… - im Rückblick.
Es ändert aber nicht- im Rückblick und heute aktuell - das biblische Bild des Tisches an den Gott alle einlädt, einige besonders. Und es ändert gestern und heute auch nicht den daraus erwachsenen christlichen Wert:
Für Humanität muss man sich nicht rechtfertigen – eher für Schweigen, Wegschauen, restriktive Abschottung, tödlich gesicherte Grenzen, ein ungutes Tolerieren von Gewalt und Unfrieden, – von Inhumanität - gegenüber Menschen.
„Man kann Jesus nicht begegnen, ihn nicht lieben...ohne dass man seine Zuflucht nicht ständig neu, konkret und hartnäckig beim Evangelium sucht…“ so hat Madeleine Delbrêl, die Mystikerin der Straße, auf deren Spuren wir in Paris vor einigen Jahren vom Gasthaus her unterwegs waren... einmal gesagt. Und wenn man neu, konkret und hartnäckig beim Evangelium sucht, dann kann man kein christliches Leben mit dem Rücken zum anderen führen, der in Not ist. Das ist nicht immer ein Weg der vielen und der meisten. Auch nicht ein unangefragter und störungsfreier Weg… Delbrêl ergänzte: „Dem Evangelium gegenüber ist es nicht schlimm, wenn wir zahlenmäßig nur wenige sind; schlimm ist es, wenn wir unbeweglich sind…“
Lebendig unterwegs zu sein mit Menschen in unserer Stadt– und das Evangelium im Leben zu suchen… das war mein / das ist unser Versuchen (auch mit Irren) in und an Gasthaus und Gastkirche. Ich kann sagen, dass ich in den letzten 16 Jahren vieles gelernt habe / vieles sich neu eröffnet hat / vieles wertvoll war und ist: ich möchte das heute nur für mich sagen, weiß aber, dass das so oder ähnlich die Erfahrung von manchen an unserem Ort ist… eingebundene Erfahrung sozusagen – für die ich in der Einbindung – auch immer wieder durch gezeigte Solidarität –
dankbar bin.
-Ich habe noch einmal neu gelernt – aus dem Blickwinkel, wenn mein Zuhause die Straße ist: was Unrecht ist / was Leben und Überleben heißt / was Einfachheit und Armut bedeutet: „Es ist nicht Gottes Wille, dass die einen alles und die anderen nichts haben“ – das Wort O. Romeros ist mir oft deutlich geworden! .../Ich habe bei unserem Offenen Ohr in schwierigen Situationen erfahren dürfen, was Mut und Perspektive heißt und auch die Suche nach Versöhnung…/ Ich habe in der Trauerarbeit miterleben dürfen, was es bedeutet, wenn das Dunkel sich etwas wieder lichtet – und wie man einander trösten kann in ähnlicher Situation…/ Ich darf immer wieder im Gefängnis erleben, wie 60/70 Männer „mucksmäuschen“ still sind und jedes Wort in der Auslegung des Evangelium aufsaugen…/ Ich durfte oft erleben, was ein gemeinsamer Pilgerweg für den einzelnen und auch für die Gemeinschaft an neuer Perspektive eröffnen kann… /Ich konnte bei mancher Verabschiedung auf dem Friedhof von einem unserer Freunde von der Straße oder von ehrenamtlichen Mitarbeitern eine Verbundenheit spüren, die bewegend war.../Ich durfte bei Kunstprojekten – ob mit Helmuth Heinze, Ulle Bowski oder Adnan Kassim etwas erleben – von einem anderen Zugang zu „Lebens-wichtigem“…
Ich durfte – manches Mal lehrreich - auch meine Begrenzungen erfahren, mein „nicht mehr Weiterwissen“, ein „nicht mehr erreichen können“, manchmal auch meine begrenzte Geduld- oder die anderer mit mir. ../
Und ich durfte viele Menschen in diesen 16 Jahren kennenlernen und im Kontext von Gasthaus und Gastkirche mit ihnen bereichernd zusammenarbeiten, unterwegs-sein, im Leben das Evangelium suchen - in unserer Stadt und darüber hinaus...
- Euch und Gott: sei Dank!
Wenn Joseph Beuys das Wort geprägt hat: „Die Mysterien finden im Hauptbahnhof statt“ – dann trifft er damit, wo wir Gottes Spuren vielleicht manchmal eher ahnen, finden, suchen… können und die Relevanz des Evangeliums– als denn dann in einer Kirche, die um sich kreist oder in Glaubens-fernen, Ober-kirchlichen Verlautbarungen...Olaf hat das Nagelkreuz als Symbol für Frieden und Versöhnung auf den Altar gestellt. Es steht in Korrespondenz zu dem Torsokreuz hier in St. Peter, das an den letzten Weltkrieg erinnert und an die grausame faschistische Zeit des Nationalsozialismus, der so viel Leben zerstört und getötet hat. Das Torsokreuz- ohne Arme und Beine infolge eines Bomben-Treffers der St. Peter Kirche hier - erinnert uns daran: Jesu Arme und Beine, seine Stimme und Haltung – sind WIR gerade heute in der Zeitenwende:
Wir sind ermutigt – mit Blick auf diese beiden Kreuze : mit Profil für Frieden und Versöhnung im umfassenden Sinne – heute, im Jetzt, einzustehen, einzutreten – uns auf den Weg zu machen: „zum Besten der Stadt“ – und darüber hinaus.
Dazu: wo auch immer – auf jeden Fall weiterhin an Gasthaus und Gastkirche: buen camino!
Einen guten Weg! – und uns allen aus Gottes Weggeleit – Mut!
(Abschiedsgottesdienst von Gastkirche und Gasthaus - Ludger Ernsting)